Es war Dienstag, der 1. Oktober, 06:15. Martin saß im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Es war noch dunkel, die Straßenbeleuchtung tauchte die Straße in gelbes Licht. Das Radio lieferte ihm die Dauerbeschallung, die er brauchte, um seine eigenen Gedanken nicht hören zu können. „Alles da, da, da!“ rief es aus dem Gerät, als er von der Breitenfurter Straße auf die Eichenstraße abbog. Oder besser gesagt, abbiegen wollte, denn es gab plötzlich kein Weiterkommen mehr. Er bremste ab und würgte den Radio nach dem letzten „da!“ des Werbespots ab. Martin starrte ungläubig durch die Windschutzscheibe. Vor ihm standen ein paar Autos, die wie das seine blockiert waren. Doch dahinter, um die Kurve auf der Eichenstraße sah er etwas, das aussah wie Baumkronen, die sich gen Himmel reckten. Und das mitten auf der Straße! Hinter ihm war bereits ein kleines Hupkonzert angelaufen. Martin wollte sich das genauer ansehen. Da konnten doch nicht über Nacht mitten auf der Straße Bäume gewachsen sein. Er schaltete den Motor ab, stieg aus und ging entlang der Autos in Richtung Baumkronen. Einige andere taten es ihm gleich.
Beim ersten Baum stand bereits ein Grüppchen Menschen mit verdutzten Gesichtern. Martin sah, dass die gesamte Eichenstraße, oder zumindest soweit sein Auge reichte, unbefahrbar war. Aus der Straße sprossen etliche stattliche Bäume. Wenn er sich nicht täuschte, waren das Eichen. Er war nie gut im Pflanzen bestimmen gewesen, aber eine Eiche erkannte er schon. Martin rieb sich die Augen. Wie war das möglich! Die Leute standen verwundert zwischen den Bäumen. Das erste Tageslicht brach langsam durch die herbstliche Wolkendecke. Manche Menschen gingen nach ihrer Inspektion der Bäume zurück zu ihren Wägen, machten kehrt und versuchten, ihr morgendliches Ziel über einen anderen Weg zu erreichen. Andere standen einfach weiterhin sprachlos da, machten Fotos, gingen zwischen den Eichen umher und berührten ihre Stämme. So auch Martin. Wie war das möglich! Er nahm sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und machte ein paar Fotos, die er seiner Frau auf WhatsApp schickte. „Eichen in der Eichenstraße, verrückt”, schrieb er dazu. Seine Frau reagierte direkt mit einem Emoji, dem der Mund offen steht. Martin schüttelte den Kopf und ging langsam zurück zu seinem Auto. Er hatte einen frühen Termin, den er nicht verpassen durfte. Eichen hin oder her. Er würde dazu sicherlich noch mehr in den Nachrichten hören.
Währenddessen raufte sich Jasmin in der Meidlinger Polizeiwache die Haare. Ihre Schicht wäre eigentlich bereits um 6:00 zu Ende gewesen, doch die ablösende Kollegin war mal wieder zu spät dran und seit einigen Minuten hörten die Telefone nicht mehr auf zu läuten. Die ersten Anrufe hatten sie in der Wache nicht besonders ernst genommen. Da hatten sich wohl ein paar Spaßvögel abgesprochen und wollten der Polizei einen Telefonstreich spielen. Das wäre nicht das erste Mal. Doch die Anrufe von verärgerten Autofahrern häuften sich mittlerweile so sehr, dass da etwas dahinter sein musste. „Also, Sie sagen mir, dass in der Eichenstraße plötzlich ganz viele Eichen wachsen,” wiederholte Jasmin, den Hörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, während sie den Namen des Anrufers notierte. Florian, ein Kollege, der gerade seinen Dienst mit einem heißen Kaffee begann, kam herüber und fragte Jasmin: „Schon wieder die Eichengeschichte?” Jasmin nickte. „Jetzt sollten wir uns das aber wirklich anschauen fahren. Magst du noch mitkommen?” Jasmin war zwar hundemüde, doch sie würde sich das sowieso noch anschauen gehen bevor sie schlafen konnte, warum also nicht gleich ein paar Überstunden generieren, sodass sie am Freitag früher heimgehen konnte.
Die beiden verließen die Wache in der Arndtstraße. „Vielleicht sollte ich fahren,” meinte Florian mit einem Blick auf Jasmins Augenringe. Jasmin nickte. Sie bogen hinaus auf die Längenfeldgasse und fuhren in Richtung Eichenstraße. Weit kamen sie allerdings nicht, denn der Verkehr um die Eichenstraße stand still. Florian bog in die Herthergasse ab, dann in die Malfattigasse, war zwar gegen die Einbahn, aber wozu hatte man sonst das Blaulicht. Sie schafften es noch zwei Blöcke weiter, dann mussten sie zu Fuß gehen. Je näher sie der Eichenstraße kamen, desto mehr Menschen waren, wie sie, in Richtung Eichenstraße unterwegs. Die Eichen schienen sich bereits im Viertel herumgesprochen zu haben. Bald sah Jasmin die erste Baumkrone und als sie dann endlich auf der Eichenstraße standen, konnten die beiden Polizeibeamten ihren Augen kaum glauben. Florian nahm sein Funkgerät und funkte ein „Die haben Recht gehabt, die Anrufer, da sind wirklich Eichen in der Eichenstraße!” zurück an die Wache. Jasmin ging hinüber zu einer der Eichen und berührte ihren Stamm. Sie war echt. Da wuchsen wirklich Eichen in der Eichenstraße. In einem Abstand von ungefähr 10 Metern standen die grünen Riesen auf der Straße. Es schien die gesamte Eichenstraße betroffen zu sein. „Braucht’s ihr Verstärkung?”, tönte es aus Florians Funkgerät. Er wechselte einen Blick mit Jasmin. „Wenn ihr keine fünfzig Holzfäller aus dem Ärmel zaubern könnt’s, wüsst’ ich nicht, was ma da machen können.”, funkte er zurück. Die beiden Polizeibeamten gingen die gesamte Straße ab und machten Notizen für ihren Bericht. Hier war definitiv ein Bericht nötig. Und der würde sehr wahrscheinlich im Innenministerium landen. Es musste also ein guter werden.
Im dritten Stock der Eichenstraße 6 an der Ecke Hanauskagasse saß Berta am Küchentisch und schaltete wie jeden Morgen den Fernseher an, um die ZIB auf ORF 2 anzuschauen. Ihre Küchenuhr schlug 7:00 und die typische ZIB Intro-Musik erfüllte die hellgrün gekachelte Küche. „Die erste Zeit im Bild des Tages. Herzlich Willkommen. Es ist 7 Uhr an diesem Dienstag, an dem wir zu Beginn gleich in den 12. Wiener Gemeindebezirk schauen,” tönte es aus dem alten Röhrengerät. Berta setzte ihren Häferlkaffee auf dem Tisch ab. „Na sowas!”, murmelte sie. Sie nahm die Fernbedienung zur Hand und drehte die Stimme der Moderatorin noch etwas lauter. Die redeten doch immer nur über Israel oder Budgetdefizite. Was in Meidling passierte war denen normalerweise doch komplett wurscht. Jetzt hatte der flimmernde Fernsehapparat Bertas volle Aufmerksamkeit. „Uns hat heute Morgen eine etwas ungewöhnlichere Meldung erreicht. Die Meidlinger Eichenstraße ist über Nacht unbefahrbar gemacht worden. Der Grund sind über 100 Eichen, die auf bisher ungeklärte Weise in die Straße gepflanzt wurden. Derzeit hat sich niemand zu dieser spektakulären Pflanz-Aktion bekannt. Umweltgruppen wie Extinction Rebellion werden dahinter vermutet. Unser Korrespondent ist vor Ort.”
Berta war baff. Das sollte sie ja direkt von ihrem Küchenfenster aus sehen können! Sie hievte sich schwerfällig aus dem Sessel und schlurfte hinüber ans Fenster. Während sie begann, diverse Schmuckgegenstände vom Fensterbrett abzuräumen, damit sie das Fenster öffnen konnte, befragte im Fernsehapparat der Reporter diverse Passanten und Anrainerinnen zu deren Meinung zu den gepflanzten Eichen. Die Frage, ob sie in der Nacht nicht Presslufthammer oder anderes schweres Gerät gehört hätten, das ja nötig war, um solch große Bäume mitten auf einer asphaltierten Straße zu pflanzen, verneinten alle Interviewten. „Wir sind den dauernden Lärm von der Straße her so gewohnt, da fällt ein Presslufthammer mehr auch nicht mehr auf”, meinte eine Frau. „Wir schlafen generell nur mit Ohrstöpseln”, erklärte ein Paar im Vorübergehen. Und ein Junge meinte nur „Noise Cancelling Headphones.” Berta wunderte sich gar nicht, nichts gehört zu haben, sie schaltete ihr Hörgerät abends stets aus und legte es auf ihr Nachtkästchen. Manchmal tat sie das auch untertags, wenn die kleinen Mädchen in der Wohnung oben wieder laut herumsprangen. Jetzt hatte sie endlich alle Blumentöpfe, Kerzenständer, Potpourri Schalen und Porzellanfiguren vom Fensterbrett abgeräumt und öffnete das Küchenfenster zum ersten Mal seit Jahren. Die Scharniere quietschten. Berta hielt sich am Fensterrahmen fest und lugte hinab auf die Straße. Da drangen ihr wirklich kein Autolärm und keine Abgase mehr entgegen. Sie blickte direkt auf eine im Morgenlicht leuchtende grüne Baumkrone. Berta lächelte. „Na sowas,” murmelte sie noch einmal. Plötzlich ergriff sie eine Lust hinauszugehen, die sie schon lange nicht mehr verspürt hatte. Sie schaltete den Fernseher aus, zog sich einen Mantel über und verließ ihre Wohnung im dritten Stock mit beinahe jugendlichem Schwung.
Unten auf der Eichenstraße wimmelte es mittlerweile von Schaulustigen, aber auch einfach von Leuten, die ihren täglichen Verpflichtungen nachgingen. Da wurden Kinder in die Schule gebracht, ältere Mitmenschen zum Arzt begleitet und leere Einkaufstaschen zum Hofer und volle Einkaufstaschen vom Hofer nach Hause geschleppt. Einer der Menschen, die da so unterwegs waren, war Osman. Er brachte wie jeden Tag seine vierjährige Tochter in den Kindergarten, bevor er sich selbst auf den Weg zur Arbeit machte. Seit seine kleine Leyla geboren worden war, lebte er in ewiger Angst um sie. Und seit sie laufen konnte waren Autos der Feind Nummer eins. Man musste nur einen Moment lang nicht hinsehen, und das kleine Mädchen war meterweit weitergelaufen. In seinen Albträumen lief die kleine Leyla regelmäßig auf die Fahrbahn der Eichenstraße. Osman absolvierte den Weg zum Kindergarten also immer in höchster Alarmbereitschaft. Die Anspannung fiel meist erst von ihm ab, wenn er seine Tochter hinter der Tür des Kindergartens verschwinden sah.
Doch heute war alles anders. Als sie aus ihrem Gebäude herausgetreten waren, hatte sie nicht wie üblich der Straßenlärm der vierspurigen Straße empfangen. Nein, heute war es still gewesen. Osman hatte Blätter im Wind rauschen gehört und war das ein Vogel, der da zwitscherte? Die kleine Leyla zeigte aufgeregt auf die Straße. „Papa, schau, ein Baum!” Osman lächelte und lockerte seinen Griff um die Hand seiner Tochter. Sie liefen gemeinsam auf den nächsten Baum zu, der da aus der Straße wuchs und befühlten die raue Rinde seines Stammes. Osman bemerkte, dass viele andere Kinder auf der Straße zwischen den Bäumen herumliefen. Es lag die Leichtigkeit einer schönen Überraschung in der Luft. Osman hob eine kleine Eichel auf und zeigte sie Leyla. Das Mädchen nahm sie und steckte sie sogleich in ihre Tasche. Die beiden spazierten so entspannt wie noch nie mitten auf der Eichenstraße zwischen den großen Bäumen hindurch in Richtung Kindergarten.
Im Innenministerium hatte Manfred bereits den Bericht der Meidlinger Polizeiwache aufliegen:
Vierspurige eineinhalb Kilometer lange Eichenstraße im Wiener Gemeindebezirk Meidling zwischen Edelsinnstraße/ Breitenfurterstraße und Gaudenzdorfer/ Margareten Gürtel seit 1. Oktober 2024, ca. 06:00 unbefahrbar. Im Abstand von ca. 10 Metern wurden über Nacht 134 Eichen in ausgehobenen 2m2 großen Löchern gepflanzt. Die Löcher wurden mit Mulch bedeckt. Keine Spuren von entferntem Asphalt oder Gerätschaft. Aussagen der Anrainer wenig aufschlussreich, da alle angeben, in der Nacht nichts gehört zu haben. Untersuchungen laufen. Bisher konnten keine Verdächtigen identifiziert werden. Meidlinger Polizeiwache wurde durch blockierte Automobilisten alarmiert, welche die unmögliche Durchfahrt der Eichenstraße meldeten.
Es herrschte allgemeine Ratlosigkeit zum passenden Vorgehen in Manfreds Abteilung. Man konnte doch nicht einfach eine Straße über Nacht komplett sperren, weil sich irgendeine extremistische Gruppierung eingebildet hatte, da ein paar Bäume zu pflanzen. Die mussten einfach wieder weg. Es waren aber eben nicht nur ein paar Bäume. Es waren 134 um genau zu sein. Und es waren gut gewachsene Eichen. Die alle wieder auszugraben und den Asphalt wiederherzustellen würde kostspielig werden. Es wurden also viele Sitzungen abgehalten und Experten zu den Kosten der „Wiederherstellung der Eichenstraße”, wie man es in den Gängen des Ministeriums nannte, befragt. Natürlich hatte sich das Klimaministerium auch schon eingeschaltet und die Vorteile eines Grüngürtels in der Eichenstraße hervorgehoben. Die Bäume seien eine großartige Klimawandel-Anpassungsmaßnahme gegen extreme Temperaturen im Sommer und die Bodenversiegelung zu bekämpfen sei ebenfalls von äußerster Dringlichkeit, vor allem angesichts der letzten schweren Überschwemmungen. Noch dazu hatte die politische Opposition in den sozialen Medien bereits eine Petition zum Erhalt der Bäume gestartet. Man würde also schnell vorgehen müssen, um das alles abzuwürgen, bevor es zu sehr in Fahrt kam. Am liebsten hätte Manfred alles unter Verschluss gehalten. Die öffentliche Meinung war zu volatil bei solchen Geschichten. Doch die Eichen waren ein gefundenes Fressen für die Medien und man konnte 134 ausgewachsene Eichenbäume auch schlecht verstecken. Manfred kratzte sich am Kinn. Das würden ein paar lange Tage werden.
Am Tag darauf war die Meldung bereits auf allen Titelblättern. Selbst die ausländischen Medien berichteten umfangreich über die Eichen in der Eichenstraße. So fanden sich am Mittwoch, dem 2. Oktober 2024, Artikel über die Meidlinger Eichenstraße in The New York Times, The Guardian, Le Monde, El Pais, The Times of India, der japanischen Yomiuri Shinbun bis hin zur ägyptischen Al-Ahram. In Wien brach eine große öffentliche Debatte darüber aus, was mit der Eichenstraße zu tun sei. Jeder wollte seinen Senf dazugeben. Politik, Anrainerschaft, Autofahrer, Naturschützerinnen, selbst die Religion kam zu Wort. Das bekam niemand so gut zu spüren wie Marie-Therese, die im Sekretariat des Wiener Bürgermeisterbüros arbeitete. Denn sie war es, die sich plötzlich durch haufenweise Emails wühlen musste. Sobald sie eine Mail bearbeitet hatte, tauchten bereits fünf weitere in ihrem Postfach auf. Es war überwältigend und es war definitiv zum Aus-der-Haut fahren. Da konnte man einfach von heute auf morgen nicht mehr nur hin und wieder die Maus bewegen, sodass der Teams Status grün blieb. Nicht, dass sie das oft getan hätte, aber manchmal eben schon. Seit drei Tagen aber definitiv nicht mehr. Jetzt kippte sie zwei Liter Kaffee pro Tag hinunter.
Marie-Therese saß nun also mit ihrem dritten Kaffeehäferl des Tages auf ihrem blauen Gymnastikball am Schreibtisch im Büro und klickte sich leicht auf und ab wippend durch die Emails. Da war ein Schreiben von Naturschützern und Biologinnen, demzufolge eine Eichenkrone Habitat für bis zu 1000 Insektenarten war. Noch dazu Nahrungshabitat für diverse Raupenarten von in Österreich gefährdeten Schmetterlingen wie dem Eichen-Zipfelfalter oder dem Großen Schillerfalter. „Da lern ich echt noch viel über Bäume, wer hätte das gedacht,” murmelte Marie-Therese, zog die E-Mail in den ‚Argumente’ Ordner und kennzeichnete sie mit der ‚ökologisch’ Kategorie. Sie mussten ihren Chef ja wappnen für seinen Kampf für die Eichen. Denn die Linie der Stadt Wien stand fest: man fand die Eichen wunderbar. Publicity dieser Art hatte Wien im derzeitigen politischen Klima definitiv nötig. Jetzt galt es also, eine Strategie auszuarbeiten, um die Eichen auch beizubehalten. Und dazu fand Marie-Therese immer wieder sehr hilfreiche Argumente in den Anschreiben. Die zig Emails von verärgerten Autofahrern und anderen Menschen, die für die „Wiederherstellung der Eichenstraße” plädierten, ignorierte Marie-Therese. Da war auch noch eine E-Mail zu einer angeblichen Marienerscheinung am Stamm einer der Eichen. Anscheinend hatte Kardinal Schönborn bereits eine Prüfung durch eine Delegation des Vatikans angefragt. Wenn diese die Eiche für heilig befinden würde, könnte die Eiche als Pilgerstätte designiert werden. Diese Email verdiente die ‚religiös’ Kategorie im ‚Argumente’ Ordner. Aus dem Büro ihres Chefs nebenan drang dessen enthusiastisch klingende Stimme. „Ja, jetzt kommen die Touristen dann endlich auch mal nach Meidling, nicht immer nur nach Schönbrunn! Mhm, ja. Na wirst schon sehen, das mach’ ma schon.” Da war jemand positiv eingestellt. Marie-Therese war sich weniger sicher, ob sie die Eichen retten konnten vor dem Mob der Automobilisten und vor allem vor dem Innenministerium. Aber sie würde ihr Bestes tun.
Währenddessen standen die Anrainer und Anrainerinnen der Eichenstraße geschlossen hinter dem Erhalt der Eichen. Für sie hatte sich die Lebensqualität über Nacht vervielfacht. Sie wurden jetzt von Vogelgezwitscher geweckt, nicht mehr von Lastwägen. Zwei Burschen aus der Eichenstraße 54 hatten sogar bereits eigenhändig einen Angriff auf eine der Eichen von einem vermeintlich extremistischen ÖAMTC Anhänger vereitelt. Der einzige, der den Eichen skeptisch gegenüberstand war Herr Dohnal aus dem ersten Stock in der Eichenstraße 2A an der Ecke Fockygasse. Es hieß ja „Buchen sollst du suchen, Eichen sollst du weichen“ wenn es gewittert, meinte er. Er wollte sich hier jetzt sicher nicht in Lebensgefahr begeben, weil die Eichen alle Blitze anziehen würden. Das erzählte er jedem, der nur lange genug zuhören wollte. Offensichtlich hatte er sogar einen Reporter von seiner Theorie überzeugen können, denn die Gratiszeitung Österreich druckte tags darauf einen Artikel mit Herrn Dohnals Weisheiten auf Seite 2 ab. Diese Seite hängte sich Herr Dohnal später gerahmt über den Esstisch. Ansonsten nahm ihn aber niemand ernst.
Nach ein paar Tagen war die Öffentlichkeit dann einer Meinung: die Eichen sollten in der Eichenstraße bleiben. Stefan, der gerade in der U4 Richtung Heiligenstadt saß, scrollte durch die Nachrichten auf seinem Smartphone. Da ging es wieder um die Eichenstraße. Das war schon eine interessante Geschichte, was da in den letzten Tagen passiert war. Jetzt las er, dass anscheinend beschlossen worden war, die Eichenstraße bis auf einen Fahrradstreifen permanent zu sperren und zu einem Park zu machen. Das Innenministerium hatte sich dann wohl geschlagen geben. In der ZIB vor zwei Tagen hatte Stefan einen Ausschnitt einer Pressekonferenz gesehen. Die hatten echt alles versucht, um diese Bäume wieder loszuwerden.
Stefan fand die Bäume gut, er fuhr sowieso immer nur mit der U-Bahn, und er gönnte den Meidlingern auch ein paar Bäume. Nicht jeder hatte den Wiener Wald direkt vor der Haustür wie er draußen in Hütteldorf. Stefan wischte mit dem Daumen nach links und scrollte weiter. Da war noch ein Artikel zum Thema Eichenstraße. Auch andere Bezirke planten demnach ähnliche Initiativen um vielbefahrene Straßen in Waldgürtel, Parks und Naturgebiete zu transformieren und ließen sich dabei munter von den Straßennamen inspirieren. In Neubau wollte man Lärchen in der Lerchenfelder Straße pflanzen, in Alsergrund Nussbäume in der Nußdorfer Straße. Auch Penzing hatte in Zusammenarbeit mit Rudolfsheim-Fünfhaus Pläne in Arbeit, aus der Hütteldorfer Straße einen Grüngürtel zu machen. Das war ja super! Dann könnte er mit dem Fahrrad auch mal hinein in die Stadt fahren, nicht immer nur hinaus. Stefan lachte laut auf. Der alte Mann, der ihm gegenübersaß, beäugte ihn skeptisch. Stefan ließ sein Lachen verebben und blickte aus dem Fenster. Sie rollten gerade in die Station der Meidlinger Hauptstraße. Da musste er raus. Er steckte sein Handy ein und stand auf. Ja, wenn Meidling das konnte, dann konnte das Penzing schon lange.