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Lass uns ein Eis essen gehen!

„Lass uns ein Eis essen gehen!”, sagte Annelies.

Janas Wangen röteten sich. Sie schaute Annelies an. Etwas zögerlich antwortete sie. „Okay, ein Eis essen. Bist du dir sicher?” Sie blickte Annelies fragend an.

Annelies räusperte sich. „Ja, warum nicht? Es ist heiß.” Mit einer schnellen Geste ihrer rechten Hand, strich sie sich eine verlorene Strähne hinters Ohr.

Jana lächelte. „Ja gerne, ich dachte du wolltest das nicht. Ich dachte… Aber ja, ja, lass uns ein Eis essen gehen!”

In Janas Stimme lag eine Begeisterung, die Annelies für ein Eis nicht angemessen schien, doch sie sah darüber hinweg. „Nein, warum, ich mag Eis. Komm’, ich kenn’ ein Eisgeschäft gleich ums Eck.”

Jana nickte, immer noch lächelnd. Ihre Wangen glühten förmlich. In ihrem Blick lag etwas, das Annelies seltsam bekannt vorkam, doch sie konnte den Finger nicht ganz darauf legen. Sie schluckte und wandte sich von Jana ab, um loszugehen. Jana folgte ihr.

Janas Schritt war beschwingt. Sie ging sehr nah an Annelies, ihre Hand streifte immer wieder die von Annelies. Annelies zog jedes Mal reflexartig ihre Hand etwas näher zu sich, versuchte auf dem schmalen Gehsteig etwas mehr Abstand zwischen sich und Jana zu bringen. Ihr eben noch lustiges Gespräch war verebbt. Jana warf Annelies einen durchdringenden Blick zu. Annelies blickte zu Boden. Was war nur plötzlich los mit Jana? Annelies zog sich die Ärmel hinunter über die Hände und drehte den kleinen silbernen Knopf des linken Blusenärmels zwischen ihren Fingern. Sie mussten einfach wieder ins Reden kommen, dann würde schon wieder alles wie vorher werden. Annelies wollte nur plötzlich partout kein Thema einfallen.

Sie räusperte sich wieder und befeuchtete sich mit der Zunge ihre Lippen. „Morgen soll es regnen, habe ich gehört.”

„Mhm,“ antwortete Jana, ihren Blick nicht von Annelies Mund nehmend.

Annelies blickte starr nach vorne und strich sich wieder eine blonde Strähne hinters Ohr. Sie machte einen neuen Anlauf. „Der Eissalon ist wirklich gut. Ich war schon öfters dort. Ihre Stanitzel schmecken auch richtig gut, das sind nicht diese Dinger, die wie Papier schmecken, sondern richtige Waffeln.” Sie sprach schnell, hörte ihre plötzliche Nervosität in ihrer eigenen Stimme mitschwingen.

Jana nickte lächelnd. „Das rundherum ist mir ganz ehrlich eh nicht so wichtig“, meinte sie nur.

Auch das Lächeln auf Janas Lippen erinnerte Annelies an etwas, ähnlich wie die langen Blicke, die ihr Jana nun ständig zuwarf. Sie konnte es aber weiterhin nicht benennen. Ihr Mund fühlte sich trocken an. Sie schluckte, dann räusperte sie sich wieder. Ihre rechte Hand strich wieder an ihrem Haar entlang, um es hinter ihrem Ohr zu fixieren, doch ihre Hand fand keine lose Strähne. Sie verweilte mit ihrer Hand einen Augenblick verloren auf ihrem Ohrläppchen, dann senkte sie sie. Der Weg zum Eisgeschäft kam Annelies vor wie eine halbe Ewigkeit.

Als sie beim Eissalon ankamen, atmete Annelies tief aus. Sie reihten sich hinter die wartenden Leute und blickten auf die große weiße Tafel über der Theke, auf der alle Eissorten aufgelistet waren. Endlich etwas zu tun, etwas zu bereden, dachte Annelies. Um sie herum herrschte reges Treiben. Kinder schrieen lauthals nach mehr Eis. Eltern versuchten sie zu besänftigten. Vor den beiden diskutierte ein älteres Pärchen über die Preise.

„Welche Sorte magst du denn gerne? Eher Vanille? Oder ein bisschen spicy, sowas wie Ingwer-Zitrone oder Karamell-Nuss?”, fragte Jana mit blitzenden Augen.

Annelies, vom mitschwingenden Unterton der Frage peinlich berührt, antwortete so sachlich wie nur irgend möglich: „Ich glaube ich nehme das vegane Himbeereis.”

Die Schlange an Menschen rückte langsam vorwärts. Die beiden machten einen Schritt nach vorne.

„Okay, also Vanille,” grinste Jana in sich hinein.

In dem Moment verstand Annelies. Das Lächeln, die Blicke, das Streichen von Janas Hand an der ihren. Oh nein. Sie begann zu schwitzen. Ihre Hand schoss wieder an ihr Ohr, suchte nach Strähnen, die sie nach hinten streichen könnte. Sie schielte auf die Seite zu Jana, die über den Kopf des alten Mannes vor ihr die Eissorten hinter der Vitrine musterte. Wie konnte sie Jana jetzt noch schonend beibringen, dass sie nicht das gemeint hatte mit ihrem Vorschlag, ein Eis essen zu gehen? Annelies griff sich an den Kragen ihrer Bluse und wachelte sich Luft zu. Sie konnte nicht, sie durfte nicht. Der Kuss im letzten Sommer war ein Fehler gewesen. Sie mochte diese Freundschaft so, wie sie war. Sie musste etwas sagen. Die Sache klar stellen. Das Gewusel um sie herum bedrängte sie. Es war zu laut, in ihrem Kopf dröhnte es.

„Was darf es für Sie sein?“, fragte die junge Frau hinter der Theke.

Annelies blinzelte erschrocken. „Eine Kugel veganes Himbeereis bitte,“ antwortete sie mechanisch.

„Becher oder Tüte?“

„Tüte. Bitte.“ Annelies zog ihre Mundwinkel leicht nach oben. Dabei merkte sie, dass sie ihre Lippen stark aufeinander gepresst hatte. Sie fummelte umständlich ihre Geldbörse aus ihrer Tasche.

Jana machte keine Anstalten, ebenfalls eine Bestellung aufzugeben. Als die Eisverkäuferin sie fragend anblickte, reichte sie dieser einen fünf Euro Schein über die Theke.

Annelies schaute Jana verwirrt an. „Du brauchst doch wirklich nicht für mich zu zahlen! Und willst du nicht auch..? Jana…” Ihr Protest ging im lebhaften Durcheinander des Eissalons unter. Neben ihr begann ein kleines Mädchen mit einer Eistüte in der Hand laut zu kreischen.

Jana drückte Annelies ihr Eis in die Hand und zwinkerte ihr zu. „Ich spare mir meinen Appetit auf Süßes lieber für später auf, wenn du verstehst was ich meine.”

Annelies schluckte. Sie fühlte sich wie im falschen Film.

„Passt schon so,” rief Jana der Eisverkäuferin zu, welche sich an der Kasse daran machte, das Wechselgeld herauszuklauben, und legte Annelies einen Arm um die Taille, um sie an der Menschenschlange vorbei aus dem Eissalon zu geleiten. Annelies, ihre Geldbörse in der einen Hand, die Eistüte in der anderen Hand, folgte Janas Führung widerstandslos. Ihre Gedanken überschlugen sich. Ihr Kopf fühlte sich ganz heiß an.

Als die beiden auf den Gehsteig traten und das Stimmengewirr des Eissalons im Straßenlärm versank, drehte sich Jana Annelies zu und fragte: „Also, gehen wir zu mir oder zu dir?”

Annelies fiel das Eis aus der Hand. Zwischen ihnen formte sich ein rosaroter Fleck auf dem dunkelgrauen Asphalt.

Amelia Ginster