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In Pixel zerteilt

Volle Lippen, langes Haar, hohe Wangenknochen, intensiv geschminkte Augen, die sie von der Seite des Busses anstarrten. Sie versuchte, sich selbst im lasziven Blick der verpixelten schwarzen Pupillen wiederzuerkennen, trat einen Schritt näher. Es war ihr Abbild, keine Frage. Doch sie erkannte sich nicht wieder. Photoshop hatte alle kleinen Eigenheiten ausradiert, die sie ausmachten. Kein Muttermal, keine Poren. Perfekte, porzellanfarbene Haut. Und so sollte es ja auch sein, denn das war schön. Damit konnte man Erfolg haben. Das wusste sie, das war ihr Business. Sie hatte ihren Körper zur Verfügung gestellt, eine Hülle, formbar zu dem, was gefällt.

Sie stand alleine auf dem Endbahnhof der Buslinie 12 neben einem der hellblauen Busse der städtischen Flotte und betrachtete das Werbeplakat, das auf die Seite des Busses gedruckt worden war. Es war eine Werbekampagne für Rolex Uhren. Sie war in der ganzen Stadt zu sehen, auf allen sozialen Medien, im Fernsehen. Überall, wo sie hinschaute, schaute sie sich selbst entgegen. Sie konnte sich selbst nicht mehr entkommen. Jetzt war sie mit dem Bus bis zum Endbahnhof gefahren, um sich das Bild einmal in Ruhe aus der Nähe anzusehen.

Im unteren Teil des Bildes prangte eine silbern glänzende Armbanduhr an ihrem Handgelenk. Genau so eine hing jetzt auch wirklich an ihrem Handgelenk. Sie war schließlich „Brand Ambassador“, hatten sie ihr gesagt. Darüber, ihr Gesicht, oder das, was sie im Photoshop Studio aus ihrem Gesicht gemacht hatten. Sie hatte es geschafft, eine bundesweite Werbekampagne für ein Luxusgut. Und sie lief gut, hatte ihr Agent ihr versichert. Er bekam jetzt schon so viele Aufträge herein, wie noch nie. Ihr Gesicht würde bald die Stadt tapezieren, hatte er gesagt. Ihr Name werde bald in aller Munde sein.

Jetzt stand sie da, zwischen den hellblauen Bussen und fühlte ein leichtes Gefühl von Übelkeit in sich aufsteigen, während sie weiter in ihre eigenen Augen starrte, in diese verformte Version ihrer Augen. Sollte sie sich nicht gut fühlen? Sie hatte es geschafft. Der Erfolg war greifbar, war schon da. Ihr Gesicht in der ganzen Stadt.

Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken. „Fahren Sie mit?”, fragte sie der Busfahrer. Sie drehte ihren Kopf zu dem kleinen Mann mit Mütze am Kopf, der neben ihr stand. „Ja, ja, ich fahre mit.” „Na dann steigen’s doch bitte ein und hören’s auf, den Bus anzustarren.” Sein Blick blieb etwas länger als nötig an ihrem Gesicht hängen. Instinktiv zog sie ihren Jackenärmel über die Armbanduhr. Er kniff die Augen zusammen, schaute nach rechts auf das Bild auf dem Bus und wieder in ihr Gesicht. Dann lachte er trocken, drehte sich um und stieg in seinen Bus.

Sie schluckte, stieg ebenfalls ein und setzte sich auf den Sitz direkt hinter dem aufgedruckten Plakat. Die Glasscheibe war überzogen mit bunten Punkten, welche von weiter weg ihr Bild ergaben. Sie hatten sie zerteilt, zerstückelt in einzelne Punkte, in Pixel – und so zusammengesetzt, dass etwas Erfolgreiches daraus werden konnte, geworden war. Sie war ein Erfolg.

Natalie Bock
veröffentlicht
Dieser Text wurde veröffentlicht in der Anthologie "ERFOLG - Ausgewählte Beiträge des 1. Johann-Friedrich-Danneil-Literaturpreises", 29. November 2025. Verfügbar beim Block Verlag